Kunst und Fliegen

15. Januar 2024

13th October 1921: A model bicycle with wings is the invention of an exhibitor at Central Hall Westminster. (Photo by E. Bacon/Topical Press Agency/Getty Images)

Als Kunststück gilt eine besonders herausragende Performance, ein Hochseilakt oder einZaubertrick, eine gut einstudierte Dressurnummer. Was auf Englisch aerobatics heißt, auf Französisch voltige aérienne oder acrobaties aériennes und auf Italienisch aerobatica oder acrobazia aerea ist auf Deutsch der Kunstflug, eine Luftsportart mit Motorflugzeugen. Die einzelnen Kunststücke wie Loopings, Rollen, Sturzflug etc. sind festgeschriebene Nummern in dieser Disziplin.

Dass Kunst von Können komme, ist ein deutsches Begriffsverständnis, das vieles bezeichnet und sich ständig verändert und ausufert. In anderen Sprachen bezieht sich der Kunstbegriff auf das lateinische ars und fasst die verschiedenen klassischen Kunstgattungen und ihre Nebentrends zusammen: Bildende Kunst, darstellende Kunst, Musik, Literatur. Heute zählen viele moderne Artikulationsformen und Techniken dazu, wie Fotografie, Film, Video, Performance, Konzeptkunst.

Darüber hinaus wird der Kunstbegriff als Attribut nicht nur in Bezug auf das Kunstgewerbe verwendet, sondern auch im Showbusiness und im Sport. Es gibt nichts, was sich nicht als Kunst schmücken lässt, um besser dazustehen. Das Attribut Kunst wird als Auszeichnung und Beleg für etwas Besonderes verwendet, ein Superlativ, um auszudrücken, dass es sich um etwas Wertvolles, Außergewöhnliches handelt und sich von Ähnlichem abhebt.

Anders als etwas, das als cool gilt und massentauglich ist, tendiert die Kunst nach Höherem und ziert sich als Rarität, was in der Pop-Art zu einem paradoxen Widerspruch führt. Pop ist sowohl massentauglich als exklusiv und – abgestuft teuer. Die Edelvariante fürs Museum kostet ein Vielfaches des Posters fürs Wohnzimmer, aber sie ist nicht umsonst, sondern immer ein Konsumartikel. Natürlich hat ein Haarschnitt mit Bildhauerei zu tun und wird daher auch schon mal als Art of Hair angepriesen.

Der Begriff Kunst wird manchmal auch als Gegensatz zu dem der Natur gesehen und kommt aus diesem Blickwinkel in Bezeichnungen wie Kunststoff, Kunstherz, Kunstrasen zum Ausdruck. Kunst wird aber ebenso als Merkmal einer Geschicklichkeit verwendet, wie etwa für die Reitkunst, Kochkunst etc. Kunst ist grundsätzlich ein Handwerk, deshalb spricht man auch von der Bergmannskunst, Ingenieurskunst etc., in der es Meister gibt, die nach den Regeln der Kunst arbeiten. Und es gibt die Kunstfreiheit, ein wichtiges und bisweilen polarisierendes Grundrecht im Rahmen der Meinungsfreiheit. Kunstwerke sind urheberrechtlich geschützt und sie zu fälschen ist ein Straftatbestand – es sei denn, man gibt es zu oder deklariert die Anleihe als Zitat. Auch wenn klar ist, dass Kunst immer von Kunst kommt, ist die Schöpfungshöhe ausschlaggebend für den individuellen Eigentumsanspruch. Die Höhe der Urhebung entspricht der Falltiefe, wenn sie als falsch auffliegt. Durch seine inflationäre Verwendung ist der Kunstbegriff trivialisiert worden und lässt sich beliebig anwenden, ohne ihn damit wirklich zu erweitern. Eine Öffnung des Horizonts entsteht durch einen weiteren Kontext.

Schon in der Antike wurde zwischen den freien und den praktischen Künsten unterschieden, die noch heute als angewandte Künste einen geringeren Stellenwert haben als die freien, weil nur diese nach Ansicht der damaligen Ideologen den freien Bürgern würdig sei, den Reichen, die zum Lebensunterhalt nicht arbeiten mussten. Das waren damals die Grammatik, Rhetorik und die Logik, sowie die Arithmetik, die Geometrie, die Musik und die Astronomie. Deshalb können sich heute alle Schulabgänger als Künstler versuchen, was jedoch meistens dazu führt, den Lebensunterhalt dann doch mit einem Zweitjob zu verdienen. Die Bildende Kunst gehörte schon damals nicht dazu, sondern galt als Handwerk.

Dennoch, es gibt einiges, was die Kunst mit dem Fliegen verbindet. Beides hat mit viel Geld zu tun, Kunst ist als Anlagewert und Spekulationsware eine exklusive Angelegenheit für Privilegierte, und die Luftfahrt ist wahrscheinlich die kostenintensivste Fortbewegungsart. Aber das ist nicht das Entscheidende. Kunst ist Ästhetik und entsteht durch Anschauung und Artikulation. Bildende Kunst ist Formgestaltung, Formation, Bildung, Setzung. Kunst schafft Potenzial und im besten Fall Prozesse differenzierter Wahrnehmung. Eine experimentelle, interdisziplinäre künstlerische Praxis ist investigativ, deckt und spaltet auf und setzt Dinge neu zusammen. Damit ist sie dem Kunstflug durchaus verwandt, zumindest, was die Anfänge der technischen Fliegerei betrifft.

Aviatik ist Aerodynamik plus Mechanik und Artistik. Wer fliegen will, versucht Kontrolle über die Naturgesetze zu erlangen, braucht Risikobereitschaft und Sorgfalt. Kunst und Luftfahrt sind Ideale und entstehen aus Leidenschaft, bis hin zur Obsession. In beiden Metiers geht es um das Experiment, das Tüfteln und Ausprobieren. Sowohl die Praxis der Kunst wie der Aviatik bewegen sich am fachlich neusten Stand der Erkenntnisse und Techniken und in beiden Gebieten besteht eine permanente Absturzgefahr.

Fliegen als Forschung und Abenteuer

15. Dezember 2023

Early Pioneer Ladies

Fliegen ist Erfinden. Mit der Aviatik entsteht zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein neuer Typus von Forscher:innen, deren Motivation zugleich Lifestyle ist: Erkenntnisgewinn durch Risikobereitschaft, Wissen und Können. Jeder Flug war ein Wagnis und ein permanenter Test mit offenem Ausgang.

Fliegen zu lernen war teuer, verlangte technisches Wissen und handwerkliches Geschick. Es setzte  Risikobereitschaft und Verantwortung voraus und verlangte Sorgfalt für die Gerätschaften und für sich selbst, vor allem aber Improvisationstalent und Reaktionsvermögen, denn jeder Start war ein kalkuliertes Abenteuer

Die Idee der technischen Luftfahrt ist in zahllosen Experimenten konkretisiert worden. Die ersten Flieger wurden als Pioniere bezeichnet. Ein merkwürdiger Begriff für Piloten, denn der vom französischen Fußsoldat Pion abgeleitete Begriff Pionier bezieht sich nicht deren Laufleistung, sondern ihre angstlustige Risikobereitschaft.Pionier“ steht für die Wegbereiter an vorderster Kriegsfront, die dafür sorgen, dass die Masse nachrücken kann. 

Die Bereitwilligkeit, das eigene Leben für eine große Sache aufs Spiel zu setzen, kann sich natürlich auch auf andere Ideale wie das Fliegen beziehen. Die frühen Flugpioniere werden auch als Avantgardisten oder Reformer bezeichnet. 

Fliegen sei keine große Kunst, schrieb Hermann Köhl, Hauptmann a.D.Dr.e.h. 1931 in einem Geleitwort zu einem Buch über fliegende Frauen – „Deutsche Pilotinnen in ihren Leistungen und Abenteuern“ – und gar nicht so gefährlich, um daraus zu folgern, dass „mancher Mann sich jetzt sagen wird: Was eine Frau geschafft, wir müssen’s noch besser können!”

Fliegen ist natürlich keine Frage der Männlichkeit, sondern der Kompetenz. Die Bücher und Filme über die Anfänge der Fliegerei belegen zwar durchwegs einen männlich-weissen Dominanzanspruch und Gender-Gap, der bis heute anhält. Doch schon sehr früh zeigten Frauen Flugleistungen, die denjenigen der „Pioniere” in nichts nachstanden. Das Verhältnis zwischen der Anzahl von Piloten und Pilotinnen am Start und der errungenen Wettbewerbssiege widerspricht dieser Kluft. Frauen fliegen keineswegs weniger gut als Männer. Wenn es einer Frau gelang, einen Flugschein zu erwerben und „man” sie fliegen ließ, überzeugte sie durch Leistung und Statements. „Es gibt für Frauen nichts Besseres als das Fliegen, da es nicht so sehr auf körperliche Kraft, wie auf geistige Beweglichkeit ankommt”. Das Zitat von Élise Deroche bringt die selbstbewusste Haltung auf den Punkt, mit der die Pilotinnen zum Vorbild vieler Frauenbewegungen auf der ganzen Welt wurden.

Sie war die erste Frau, die 1910 einen Pilotenschein machte und mit Passagierflügen Geld verdiente. Unter dem Künstlernamen Baronesse Raymonde de Laroche war sie zuvor eine zwar bekannte, aber nicht wirklich wohlhabende Schauspielerin, die den Erwerb der Fluglizenz kaum aus eigenen Finanzmitteln hätte bezahlen können. Fast noch größer als die materielle Hürde war die der männlichen Vorurteile gegenüber Frauen mit fliegerischen Ambitionen. Die 27-jährige Élise konnte den Piloten und Flugzeugbauer Charles Voisin von ihrer Leidenschaft und ihren Talenten überzeugen. Er gab ihr Flugunterricht und ein Flugzeug und verschaffte ihr damit Zugang zu der bisher exklusiven Männergesellschaft der Aviatik. Wer nicht von Haus aus reich war, musste Talent, Ehrgeiz und Glück haben, um voranzukommen, durfte nicht klein beigeben, sondern musste sich emanzipieren. 

Edition „Künstlicher Horizont“ 2024

Bei den Luftfahrtshows ging es immer ums Ganze. Ein Sieg brachte Geld, Ehre, Ruhm und Zukunft, schürte aber auch Neid und Missgunst. Entgangenes Preisgeld, die Demütigung der Niederlage, besonders wenn sie durch eine Frau erfolgte, verunsicherte und konnte zu üblen Rachegedanken führen. Nicht wenige Sabotageakte sind aufgedeckt (oder bewusst vertuscht und verschwiegen) worden. Eine praktische Nutzung des Flugsports kam nur langsam voran. Waren es in den ersten Jahren Einzelleistungen und Pioniertaten lokaler Clubs, so rückte mit der Popularisierung der Fliegerei auch die Reglementierung des neu gewonnenen Raums und der damit verbundenen Freiheit ins Blickfeld. Juristen fanden ein neues Betätigungsfeld in der Ausarbeitung von Luftverkehrsgesetzen, es wurden Zulassungs- und Berechtigungsstellen eingerichtet und Flugschulen gegründet. Aus dem Zusammenschluss einiger Einzelunternehmen entstand bald ein Zirkus für ein Massenspektakel zwischen gesellschaftlichem Ereignis und Motorsportrennen. Promibühne, Kommerz und Thrill.

Die erste deratige Großveranstaltung war die Grande Semaine d’Aviation de la Champagne, 22.-29. August 2009 in Reims, die einen Monat nach Blériots Überquerung des Ärmelkanals stattfand. Im September des gleichen Jahres dann die Flugschau in Brescia, über welche Franz Kafka sein Debut als Journalist in der Zeitung Bohemia veröffentlichte – worüber Peter Demetz hundert Jahre später eine detailreiche Studie veröffentlicht und damit die aufregende und inspirierende Zeit der von 1909 bis 1912 unter dem Titel „Die Flugschau von Brescia. Kafka, d’Annunzio und die Männer, die vom Himmel fielen” als imaginierte Gegenwart plastisch nachvollziehbar gemacht hat. 

Die erste Frau, die einen offiziellen Looping drehte war die Amerikanerin Katherine Stinson am 18. Juli 1915 in Chicago, wo die Pilotin noch heute als Vorreiterin der Frauenbefreiung gilt. Auch Adrienne Bolland wollte sich keinem Mann unterwerfen oder eine konventionelle Frauenrolle spielen. Sie wurde 1920 Pilotin – als erste Frau nach dem 1. Weltkrieg, und gewann mit einem Looping eine Wette mit ihrem Fluglehrer (und wohl auch Lover) und damit ein eigenes Flugzeug. Nach nur 40 geflogenen Stunden überquerte sie als Erste überhaupt 1921 die Anden im Flugzeug. 1924 stellte sie den Weltrekord mit 212 Loopings in 72 Minuten auf. Zurück in Frankreich engagierte sie sich für die Frauenrechte und ermutigte junge Frauen, fliegen zu lernen. Doch erregte sie als offen linke Aktivistin einige Gemüter dermaßen, dass die Flugzeuge ihrer Schule sabotiert wurden und sie sieben Abstürze nur knapp überlebte. Im Krieg engagierte sie sich mit ihrem Lebensgefährten zusammen im Widerstand.

Sie war mit ihrer Haltung nicht allein. Bessie Coleman, dunkelhäutiges Kind aus einfachen Verhältnissen träumte von der Gleichstellung mit Männern und Weißen. Arbeitete sich auf eigene Faust durch und fand in einem afroamerikanischen Millionär einen Unterstützer, der es ihr ermöglichte in Frankreich 1921 als erste farbige Frau eine Pilotenlizenz zu machen. Sie hatte sich vorgenommen, eine afroamerikanische Flugschule aufziehen. Sie sah den Himmel als einzigen Ort ohne Vorurteile und wollte „der Fliegerei etwas Farbe verleihen”. An Flugshows setzt sie durch, dass Farbige und Weiße nicht durch getrennte Eingänge eingelassen werden. 1926 stürzt sie aus nie geklärten Gründen tödlich ab, wahrscheinlich durch Sabotage.

Es gab auch Solidarität und Unterstützung für die fliegenden Frauen, in Form finanzieller Hilfen und Engagement für die berufliche Gleichstellung. Aus einer solidarischen Initiative entstand das ironisch benannte Powder Puff Derby. Das Flugrennen dauerte vom 13. bis 20. zum August 1929 und führte in herausfordernden Tagesetappen von jeweils über 500 Km von Santa Monica nach Cleveland. Teilnahmebedingung war, dass die Frauen mindestens 100 Flugstunden nachweisen können mussten und über eine „für Frauen angemessene Motorisierung” verfügten – 300 PS galten als „zu schnell für eine Frau”. Das Rennen war ein großer Erfolg und die New York Times schrieb, dass die Teilnehmerinnen zwar müde und sonnenverbrannt, aber erfolgreich im Wissen, dass sie das Recht der Frauen zu fliegen, klipp und klar verteidigt hatten. Nach dem Rennen schlossen sich die fliegenden Ladies zum Ninety Nines zusammen, einer Pilotinnenvereinigung, die noch heute als wichtigste Organisation die Interessen der Fliegerinnen in fast allen Ländern der Welt vertritt.

Landwerkverein

05. Juli 2022

Der Landwerkverein ist eine Initiative zur Förderung und Vermittlung von Kunst und Ökologie im Bergischen Land, um das Angebot an kulturellen Experimenten in diesem Gebiet zu ergänzen und zu fördern. Es werden künstlerische Blicke und Ausdrucksformen realisiert, die eine innovative Vermittlung neuer Perspektiven und Einsichten auf die Schönheit, aber auch Verletzbarkeit der Umwelt ermöglichen.

Der Verein ist interdisziplinär orientiert und lädt künstlerisch forschende Leute ein, mit ihren Ansätzen auf Aspekte der lokalen Situation einzugehen und beschafft die Mittel dafür. Die Präsentationen und Begegnungen auf dem Gelände bestehen aus mobilen Installationen, Performances, Konzerten und Screenings für ein aus Umweltgründen jeweils zahlenmäßig überschaubares Publikum. Die Versuchsanlage ist zu jeder Zeit öffentlich für Fußgänger zugänglich und soll als Dauerausstellung permanenter Anstoß zur Auseinandersetzung sein. Die Vereinsaktivitäten können auch in Form von Gastspielen an anderen Örtlichkeiten stattfinden. 

Die erste Veranstaltung realisierte eine Arbeit des Kölner Künstlers Michael v. Kaler