Early Pioneer Ladies
Fliegen ist Erfinden. Mit der Aviatik entsteht zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein neuer Typus von Forscher:innen, deren Motivation zugleich Lifestyle ist: Erkenntnisgewinn durch Risikobereitschaft, Wissen und Können. Jeder Flug war ein Wagnis und ein permanenter Test mit offenem Ausgang.
Fliegen zu lernen war teuer, verlangte technisches Wissen und handwerkliches Geschick. Es setzte Risikobereitschaft und Verantwortung voraus und verlangte Sorgfalt für die Gerätschaften und für sich selbst, vor allem aber Improvisationstalent und Reaktionsvermögen, denn jeder Start war ein kalkuliertes Abenteuer
Die Idee der technischen Luftfahrt ist in zahllosen Experimenten konkretisiert worden. Die ersten Flieger wurden als Pioniere bezeichnet. Ein merkwürdiger Begriff für Piloten, denn der vom französischen Fußsoldat Pion abgeleitete Begriff Pionier bezieht sich nicht deren Laufleistung, sondern ihre angstlustige Risikobereitschaft. „Pionier“ steht für die Wegbereiter an vorderster Kriegsfront, die dafür sorgen, dass die Masse nachrücken kann.
Die Bereitwilligkeit, das eigene Leben für eine große Sache aufs Spiel zu setzen, kann sich natürlich auch auf andere Ideale wie das Fliegen beziehen. Die frühen Flugpioniere werden auch als Avantgardisten oder Reformer bezeichnet.
Fliegen sei keine große Kunst, schrieb Hermann Köhl, Hauptmann a.D.Dr.e.h. 1931 in einem Geleitwort zu einem Buch über fliegende Frauen – „Deutsche Pilotinnen in ihren Leistungen und Abenteuern“ – und gar nicht so gefährlich, um daraus zu folgern, dass „mancher Mann sich jetzt sagen wird: Was eine Frau geschafft, wir müssen’s noch besser können!”
Fliegen ist natürlich keine Frage der Männlichkeit, sondern der Kompetenz. Die Bücher und Filme über die Anfänge der Fliegerei belegen zwar durchwegs einen männlich-weissen Dominanzanspruch und Gender-Gap, der bis heute anhält. Doch schon sehr früh zeigten Frauen Flugleistungen, die denjenigen der „Pioniere” in nichts nachstanden. Das Verhältnis zwischen der Anzahl von Piloten und Pilotinnen am Start und der errungenen Wettbewerbssiege widerspricht dieser Kluft. Frauen fliegen keineswegs weniger gut als Männer. Wenn es einer Frau gelang, einen Flugschein zu erwerben und „man” sie fliegen ließ, überzeugte sie durch Leistung und Statements. „Es gibt für Frauen nichts Besseres als das Fliegen, da es nicht so sehr auf körperliche Kraft, wie auf geistige Beweglichkeit ankommt”. Das Zitat von Élise Deroche bringt die selbstbewusste Haltung auf den Punkt, mit der die Pilotinnen zum Vorbild vieler Frauenbewegungen auf der ganzen Welt wurden.
Sie war die erste Frau, die 1910 einen Pilotenschein machte und mit Passagierflügen Geld verdiente. Unter dem Künstlernamen Baronesse Raymonde de Laroche war sie zuvor eine zwar bekannte, aber nicht wirklich wohlhabende Schauspielerin, die den Erwerb der Fluglizenz kaum aus eigenen Finanzmitteln hätte bezahlen können. Fast noch größer als die materielle Hürde war die der männlichen Vorurteile gegenüber Frauen mit fliegerischen Ambitionen. Die 27-jährige Élise konnte den Piloten und Flugzeugbauer Charles Voisin von ihrer Leidenschaft und ihren Talenten überzeugen. Er gab ihr Flugunterricht und ein Flugzeug und verschaffte ihr damit Zugang zu der bisher exklusiven Männergesellschaft der Aviatik. Wer nicht von Haus aus reich war, musste Talent, Ehrgeiz und Glück haben, um voranzukommen, durfte nicht klein beigeben, sondern musste sich emanzipieren.
Bei den Luftfahrtshows ging es immer ums Ganze. Ein Sieg brachte Geld, Ehre, Ruhm und Zukunft, schürte aber auch Neid und Missgunst. Entgangenes Preisgeld, die Demütigung der Niederlage, besonders wenn sie durch eine Frau erfolgte, verunsicherte und konnte zu üblen Rachegedanken führen. Nicht wenige Sabotageakte sind aufgedeckt (oder bewusst vertuscht und verschwiegen) worden. Eine praktische Nutzung des Flugsports kam nur langsam voran. Waren es in den ersten Jahren Einzelleistungen und Pioniertaten lokaler Clubs, so rückte mit der Popularisierung der Fliegerei auch die Reglementierung des neu gewonnenen Raums und der damit verbundenen Freiheit ins Blickfeld. Juristen fanden ein neues Betätigungsfeld in der Ausarbeitung von Luftverkehrsgesetzen, es wurden Zulassungs- und Berechtigungsstellen eingerichtet und Flugschulen gegründet. Aus dem Zusammenschluss einiger Einzelunternehmen entstand bald ein Zirkus für ein Massenspektakel zwischen gesellschaftlichem Ereignis und Motorsportrennen. Promibühne, Kommerz und Thrill.
Die erste deratige Großveranstaltung war die Grande Semaine d’Aviation de la Champagne, 22.-29. August 2009 in Reims, die einen Monat nach Blériots Überquerung des Ärmelkanals stattfand. Im September des gleichen Jahres dann die Flugschau in Brescia, über welche Franz Kafka sein Debut als Journalist in der Zeitung Bohemia veröffentlichte – worüber Peter Demetz hundert Jahre später eine detailreiche Studie veröffentlicht und damit die aufregende und inspirierende Zeit der von 1909 bis 1912 unter dem Titel „Die Flugschau von Brescia. Kafka, d’Annunzio und die Männer, die vom Himmel fielen” als imaginierte Gegenwart plastisch nachvollziehbar gemacht hat.
Die erste Frau, die einen offiziellen Looping drehte war die Amerikanerin Katherine Stinson am 18. Juli 1915 in Chicago, wo die Pilotin noch heute als Vorreiterin der Frauenbefreiung gilt. Auch Adrienne Bolland wollte sich keinem Mann unterwerfen oder eine konventionelle Frauenrolle spielen. Sie wurde 1920 Pilotin – als erste Frau nach dem 1. Weltkrieg, und gewann mit einem Looping eine Wette mit ihrem Fluglehrer (und wohl auch Lover) und damit ein eigenes Flugzeug. Nach nur 40 geflogenen Stunden überquerte sie als Erste überhaupt 1921 die Anden im Flugzeug. 1924 stellte sie den Weltrekord mit 212 Loopings in 72 Minuten auf. Zurück in Frankreich engagierte sie sich für die Frauenrechte und ermutigte junge Frauen, fliegen zu lernen. Doch erregte sie als offen linke Aktivistin einige Gemüter dermaßen, dass die Flugzeuge ihrer Schule sabotiert wurden und sie sieben Abstürze nur knapp überlebte. Im Krieg engagierte sie sich mit ihrem Lebensgefährten zusammen im Widerstand.
Sie war mit ihrer Haltung nicht allein. Bessie Coleman, dunkelhäutiges Kind aus einfachen Verhältnissen träumte von der Gleichstellung mit Männern und Weißen. Arbeitete sich auf eigene Faust durch und fand in einem afroamerikanischen Millionär einen Unterstützer, der es ihr ermöglichte in Frankreich 1921 als erste farbige Frau eine Pilotenlizenz zu machen. Sie hatte sich vorgenommen, eine afroamerikanische Flugschule aufziehen. Sie sah den Himmel als einzigen Ort ohne Vorurteile und wollte „der Fliegerei etwas Farbe verleihen”. An Flugshows setzt sie durch, dass Farbige und Weiße nicht durch getrennte Eingänge eingelassen werden. 1926 stürzt sie aus nie geklärten Gründen tödlich ab, wahrscheinlich durch Sabotage.
Es gab auch Solidarität und Unterstützung für die fliegenden Frauen, in Form finanzieller Hilfen und Engagement für die berufliche Gleichstellung. Aus einer solidarischen Initiative entstand das ironisch benannte Powder Puff Derby. Das Flugrennen dauerte vom 13. bis 20. zum August 1929 und führte in herausfordernden Tagesetappen von jeweils über 500 Km von Santa Monica nach Cleveland. Teilnahmebedingung war, dass die Frauen mindestens 100 Flugstunden nachweisen können mussten und über eine „für Frauen angemessene Motorisierung” verfügten – 300 PS galten als „zu schnell für eine Frau”. Das Rennen war ein großer Erfolg und die New York Times schrieb, dass die Teilnehmerinnen zwar müde und sonnenverbrannt, aber erfolgreich im Wissen, dass sie das Recht der Frauen zu fliegen, klipp und klar verteidigt hatten. Nach dem Rennen schlossen sich die fliegenden Ladies zum Ninety Nines zusammen, einer Pilotinnenvereinigung, die noch heute als wichtigste Organisation die Interessen der Fliegerinnen in fast allen Ländern der Welt vertritt.